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Berlin State of Mind
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Berlin, den 8.5.2022
Liebe Leser*innen! Ich habe es getan – nach elf Jahren Berlin habe ich mich tätowieren lassen. Eine Erfahrung, durch die ich zwei Dinge gelernt habe. Erstens: Mit einem Tattoo kann man das Umfeld immer noch schocken („Waaaas, DUUUU lässt dich tätowieren, hätte ich ja NIEEE gedacht!!“). Und zweitens: Berlin erstickt manchmal wirklich an den eigenen Coolness-Ansprüchen. Mir war jedenfalls nicht klar, dass man sich für einen Tattoo-Termin mit Anschreiben und Nachweisen zur persönlichen ästhetischen Philosophie Monate im Voraus bewerben muss. Ja, bewerben! Der Tattoo-„Artist“ trifft auf dieser Grundlage dann nämlich die Entscheidung, ob man als Kandidat akzeptiert wird. Naja, habe ich alles mitgemacht, auch, weil die ganze Aktion als Geschwister-Tattoo mit meinem Bruder geplant war (allein hätte ich mich vielleicht doch nicht getraut). Um die Geschichte abzukürzen: Nach monatelanger Vorfreude saßen wir in einem ultrahippen Neuköllner Tattoo-Studio mit Marmortresen, füllten unsere Einverständniserklärungen auf iPads aus, waren bereit, unser „life zu changen“ (der Satz fiel eventuell wirklich) – doch dann weigerte sich unser „Artist“, das von meinem Bruder gewählte Motiv zu tätowieren. Begründung: „I just lost interest.“ Er tätowiere nur noch Buchstaben und Linien, keine gegenständlichen Motive mehr. Das ist jetzt natürlich die Kurzfassung einer wirklich unangenehmen halben Stunde der verwirrten Blicke und awkwarden Verhandlungsversuche, in denen wir dem „Artist“ klarzumachen versuchten, dass wir ja Verständnis für seine künstlerische Entscheidungsfreiheit hätten (wirklich: wegen seines Stils HATTEN wir uns ja beim ihm beworben), aber doch schon gern einfach tätowiert werden wollten. Long Story short: Ich bekam am Ende meine zwei Basic-Bitch-Tattoos (einen Buchstaben und Sterne), auch, weil ich schon angezahlt hatte – mein Bruder ging unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Die Experience verlief also ein anders als geplant und beschäftigt mich seither doch sehr. Einfach, weil das alles so typisch Berlin war. Jemand hat keinen Bock, und wenn du es wagst, dich gegen das Flair des Desinteresses zu wehren, verspielst du automatisch jede Coolness, die aber nötig wäre, um im sozialen Berlin-Game mitzuspielen.
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