Herzlich willkommen bei Sunday Delight!
Ich bin Julia Hackober, Kultur-und Stilkritikerin aus Berlin, und in diesem Newsletter kommentiere ich aktuelle Hypes und Aufreger aus Gesellschaft, Popkultur und Lifestyle.
Heute melde ich mich nach einer ausgedehnten Sommerpause endlich zurück. Viel Spaß beim Lesen!

Moooment: Bevor es losgeht, möchte ich Euch noch kurz auf Thema aufmerksam machen. Diesen Monat bin ich seit drei Jahren selbstständig, ich habe beruflich und privat viel mit Unternehmerinnen, Gründerinnen, Solo-Selbstständigen zu tun. Ein Dauerthema in meiner Generation: der mangelnde Mutterschutz für Selbstständige.
Bis heute gibt es keinen gesetzlichen Mutterschutz für selbstständige Schwangere – ob in der Baubranche, in der Kreativwirtschaft, im Handel oder in der Gastronomie. Der Verein Mutterschutz für Alle! e.V. setzt sich dafür ein, diese Lücke endlich zu schließen.
Vor drei Jahren hat die Petition “Mutterschutz für Selbstständige““ dank breiter Unterstützung den Sprung in den Koalitionsvertrag geschafft – ein großer Erfolg. Jetzt steht der nächste Schritt an: die Umsetzung, und dafür müssen nun die Weichen gestellt werden.
Hier könnt Ihr die Initiative unterstützen – monetär, aber auch mit Interesse und Support für das Anliegen, Frauen in einer extrem verletzlichen Lebenssituation nicht hängen zu lassen, weil sie sich für die Selbstständigkeit entschieden haben.
Danke für Euer Interesse! Gemeinsam können wir den Mutterschutz für Selbstständige sichtbar machen – und in Gesetzesform bringen.
Die Debatte um Caroline Wahl oder die Frage:
Worüber reden wir hier eigentlich?

Man kann meist nicht alles im Leben gleichzeitig haben, auch, wenn uns die Female-Empowerment-”have it all”-Bubble das glauben machen mag.
Und insofern verwundert es mich nicht sehr, dass in dem Moment, in dem Bestseller-Wunder Caroline Wahl von den Feuilletons halbwegs ernst genommen wird, ihre Fans Sturm gegen den neuen Roman laufen. Bei Amazon hat “Die Assistentin” nur eine durchschnittliche Bewertung von 3,2 Sternen, das von der Autorin selbst eingelesene Hörbuch auf Spotify nur 2,9, auf Instagram kursieren massenweise Videos, die die Autorin dafür kritisieren, über Armut zu schreiben, selbst aber Ferrari zu fahren (dabei hat Wahl ein babyblaues BMW 2er Coupé in der Tiefgarage stehen, wie sie selbst in einem halbironischen Selbstverteidigungsversuch postete).
Bislang konnte Caroline Wahl nichts falsch machen. Jetzt eckt sie plötzlich nur noch an. Ihr Schreiben, ihre Geschichten, ihr öffentlicher Auftritt, ihr familiärer Background, der sie als Autorin über Armutsthemen disqualifiziere– an ihr wird einfach alles kritisiert.
Die angeknackste Liebe der Fans macht erst mal nichts, Wahls Buch steht trotzdem auf Platz 1 der Bestseller-Liste, und das, obwohl es sich um die ziemlich durchschnittliche und langatmig erzählte Geschichte einer jungen Frau handelt, die in einer kreativen Branche (Buch) auf der administrativen Seite (Verlag) gelandet ist, sich aber eigentlich zu höheren künstlerischen Ambitionen berufen fühlen (irgendwie Musik machen). Und natürlich sind die Eltern an allem schuld.
Das Buch punktet mit witzigen, überspitzten Beschreibungen der Verlagsszene, hätte aber dringend strenger lektoriert werden müssen (Stilkniff allwissende Erzählstimme? Urgh, unangenehm!) Man kann sich aber schon denken, dass dieser Roman einfach schnell auf den Markt sollte, solange die Erfolgswelle Wahl rollt, keine Zeit für kritisches Feedback.
Und so hat uns Caroline Wahl nicht nur den Bestseller der Saison beschert, sondern auch cringey Debatte, die auf feministisch macht, aber eigentlich genau das Gegenteil ist. Für die einen ist jede Kritik an Wahl ein misogyner Neidanfälle, die anderen sind froh, ENDLICH Gehör für ihre Anti-Wahl-Argumentation zu finden.
Das Problem: In diesem Streit geht es nur am Rande um literarische Qualitäten oder Mängel. Die Kritik arbeitet sich hauptsächlich an Wahls Persönlichkeit ab, die Autorin schießt entsprechend persönlich getroffen zurück und tut Kritik an ihrem Werk ihrerseits als frauenfeindlichen Quatsch ab.
Das ist doch verkorkst. Können wir nicht einfach über Bücher diskutieren? Wenn jede literarische Debatte, die mit Frauen zu tun hat, so seltsam persönlich verläuft, dann verlieren aus meiner Sicht am Ende mal wieder – die Frauen. Rezensentinnen, die sich an eine kritischen Text über eine Erfolgsautorin gewagt haben, und denen nun “Neid” vorgeworfen wird; Leserinnen, denen eine eigene Meinung abgesprochen wird; Autorinnen, die vielleicht von ähnlichen Erfolgshöhenflügen träumen, aber eben auch ebenso miesepetrige Kritik fürchten dürften; und Caroline Wahl selbst, deren cooles Selbstbewusstsein von einer etwas verqueren “ich darf das, ich bin erfolgreich”-Denke abgelöst wurde.
Puh. Wäre das alles passiert, hätte ein 30-jähriger Mann drei Mega-Bestseller in drei Jahren vorgelegt? Ich behaupte mal: nein. Dann würden wir über Stil, Sprache, Einfälle, Ideen diskutieren, darüber, was das Werk des Autors für die gegenwärtige deutsche Literatur bedeutet oder auch nicht. Und genau das würde ich mir für Bücher von Frauen wünschen. Ist das zu viel verlangt? Ich finde nicht.
Wie seht Ihr die Kritik an Caroline Wahl? Ich freue mich wie immer über Eure Mails, Ansichten und Feedback! Dafür könnt Ihr mir einfach auf diese Mail antworten.
…und vier Alternativ-Vorschläge für die Herbstlektüre:
“Heimat” von Hannah Lühmann: Was passiert, wenn sich die Insta-Faszination der Tradwife-Szene ins echte Leben überträgt? Meine frühere “Welt”-Kollegin Hannah Lühmann entwirft in ihrem zweiten Roman eine gruselige Vorstadt-Hölle, die jedem emanzipierten Rücken eiskalte Schauder runterjagt. Meine ausführliche Rezension lest Ihr hier.
“Wedding People” von Alison Espach: Phoebe ist vom Leben und der Liebe so phänomenal enttäuscht, dass sie in einem vornehmen Hotel mit allem Schluss machen will. Doch das ist gar nicht so leicht wie gedacht. Hört sich nach romantischer Komödie an, steckt aber voll wunderbar zynischer Lebensbeobachtungen, kombiniert mit der nötigen Dosis Hoffnung.
“Very Bad Company” von Emma Rosenblum: Höchst unterhaltsamer Ausflug in die absurde Welt der amerikanischen Tech-Start-ups: Auf einem luxuriösen Teambuilding-Wochenende verschwindet plötzlich eine Top-Mitarbeiterin – was ganz schön am schillernden Linkedin-Glanz eines Software-Unternehmens kurz vorm Exit kratzt…
“Wir bleiben wir: Franca und Ed” von Thekla Wilkening: mutiges Self-publishing-Projekt der Kleiderei-Gründerin und frauenpolitischen Sprecherin der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern. Das politische Engagement merkt man dem Buch an; es erzählt die lose verknüpften Geschichten fünf junger Menschen, die eigentlich nur von einem einigermaßen geregelten Leben träumen, aber an gesellschaftlichen Verhältnissen scheitern.
Neu hier? Hier kannst Du Sunday Delight kostenlos ⬇️
💌 Ich hoffe, Dir hat diese Ausgabe von Sunday Delight Spaß gemacht! Falls ja: Dann leite diese Mail doch unkompliziert an alle Freunde weiter, die sich auch dafür interessieren könnten – sharing is caring 🙂
🌠 Wünsche, Feedback, Kooperationsanfragen? Schreib mir gern eine Mail an [email protected]!
👩🏼💻 Work with me: Du interessierst Dich für meine Arbeit als freie Autorin, Content-Beraterin und Moderatorin? Hier erfährst Du mehr.
Bis nächsten Sonntag!
Deine
