- Sunday Delight
- Posts
- Ist Eltern werden nur was für Reiche? Interview mit Schriftstellerin Henriette Hell
Ist Eltern werden nur was für Reiche? Interview mit Schriftstellerin Henriette Hell
Henriette Hell über ihren Struggle als Mutter und Schriftstellerin + Buchverlosung
Herzlich willkommen bei Sunday Delight! Ich bin Julia Hackober, Journalistin in Berlin, und in diesem Newsletter lassen wir die Woche gemeinsam ausklingen. Heute mit diesen Themen:
“Was will die Gesellschaft von uns Frauen?” Henriette Hell im Interview über ihren Struggle als Mutter und Schriftstellerin + Verlosung: ein Exemplar von Henriettes neuem Buch zu gewinnen!
Smalltalk-Repertoire: Dakota Johnson schämt sich für ihren neuen Film + Sandra Hüller trägt Phoebe Philo
Binge-Alarm: Caroline Rosales hat ihren Bestseller “Sexuell verfügbar” als rasante Serie verfilmt + ein neuer Podcast über neue Wege
Viel Spaß beim Lesen!
Interview mit Henriette Hell

Henriette Hell fotografiert von Eiko Weishaupt
“Plötzlich ist da diese diffuse Angst. Angst davor, aufs ‘Muddi-Gleis’ abgeschoben zu werden. Ich habe Angst um mein freies, selbstbestimmtes Leben als Kreative. Weil Mütter offenbar nur selten die Wahl haben, wie sie mit der Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit umgehen.”
Schriftstellerin Henriette Hell wird Mutter. Und plötzlich tauchen ungeahnte Sorgen auf: Wie lassen sich Kind und ein Job, der vielen Schwankungen ausgesetzt ist, überhaupt miteinander vereinbaren? Und was macht ein Baby mit dem feministischen Selbstverständnis?
Im Sammelband “Heute ist ein guter Tag, das Patriarchat abzuschaffen” (ersch. im Hirzel Verlag, weitere Infos und eine Buch-Verlosung unten!) hat Henriette Hell einen sehr guten Text über ihre Unsicherheiten beim Mutterwerden geschrieben: präzise, mit objektivem Blick auf die Lage der Mütter in Deutschland und doch mit einem Optimismus, der Menschen, die noch mit der Kinderfrage hadern, nicht völlig verschreckt. Im Interview hat mir Henriette erzählt, warum sie über dieses Thema unbedingt schreiben wollte:
Liebe Henriette, Du schreibst: “Es wäre bescheuert, als Mutter keine Feministin zu sein”. Warum?
Durch die Schwangerschaft wurden viele Dinge, mit denen ich mich sonst nur journalistisch auseinander gesetzt habe, sehr real. Man liest und schreibt über den Gender Pay Gap, über Sexismus am Arbeitsplatz, über die strukturelle Benachteiligung von Müttern, die Teilzeit-Falle oder die Vereinbarkeitslüge – und plötzlich steckt man selbst mittendrin. Das ist eine krasse Erfahrung, die einen neu über Feminismus nachdenken lässt. Plötzlich hat man das Gefühl, dass die eigenen Freiheiten und berufliche Ambitionen in Gefahr sind, wenn man jetzt nicht aufpasst. Es heißt unter Schriftstellerinnen häufig “books or babies” – aber ich will beides!
Der feministische Traum von der modernen Familie sieht so aus: Die Care-Arbeit wird gerecht aufgeteilt und beide Elternteile sollen weiterhin berufliche Erfüllung finden können. Alles nur eine Frage der Organisation. Du beschreibst in deinem Beitrag schmerzhaft den „Reality-Check“ – wann und wie hast Du gemerkt, dass die Pläne mit Baby womöglich nicht so aufgehen werden, wie Du Dir das in der Theorie vorgestellt hast?
Wir haben uns sehr lange ein Baby gewünscht und waren überglücklich, als ich endlich schwanger war. Vorher bin ich selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir die Care-Arbeit fifty-fifty aufteilen werden und ich sofort wieder arbeiten wollen würde. Doch plötzlich hatte ich das Gefühl: Ich möchte gerne eine Weile nur für meinen Sohn da sein, die Elternzeit genießen.
Nur: Als mein Mann und ich uns durchgerechnet haben, was das finanziell für uns bedeutet, ist uns die Kinnlade runtergefallen. Von 65 Prozent meiner Einnahmen als Solo-Selbständige kann ich nicht leben. Wir haben uns gefragt: Können sich in Deutschland nur noch Großverdiener mit enormen Rücklagen ein entspanntes erstes Jahr mit Baby leisten? Mir ist in dem Moment klar geworden, dass die meisten Frauen gar keine Wahl haben, als möglichst schnell wieder zu arbeiten, weil es finanziell gar nicht anders geht. Die Entscheidung ist viel öfter von finanziellen Entscheidungen getrieben als von “Karriere-Geilheit”.
Gleichzeitig ist es leichter gesagt als getan, wieder in den Job einzusteigen…
Ja. Das Kind muss irgendwo bleiben. Hier in Hamburg ist die Kita allerdings erst ab dem ersten Geburtstag fünf Stunden am Tag kostenlos. Ich war irgendwann komplett verwirrt, als Feministin und als Bürgerin: Was will die Gesellschaft denn jetzt von uns Frauen? Sollen wir möglichst schnell wieder arbeiten mit Kind oder nicht? Die Betreuungs-Regelungen, das Ehegatten-Splitting und die Elterngeld-Vorgaben widersprechen sich. Auf der einen Seite soll man schnell wieder auf den Arbeitsmarkt kommen, auf der anderen Seite passen die Rahmenbedingungen nicht. Es ist schwierig, in diesem Wirrwarr zu erkennen, welcher Weg der individuell richtige ist.
In deinem Text sprichst du die große Frage an, ob man als Frau berufliche Ziele zurückfahren muss, wenn man ein Kind bekommt. Es gibt je nach Beruf schließlich einen Unterschied zwischen “einfach irgendeinen Job machen”, um finanzielle Sicherheit zu schaffen – und dem Wunsch, die Karriere weiterzuverfolgen, die man sich bis zur Geburt aufgebaut hat. Wie gehst Du mit der Zwickmühle um?
Mein Baby ist jetzt drei Monate alt, zum Glück sehr unkompliziert und ich schreibe wieder, weil ich das Bedürfnis habe, kreativ zu sein. Aber ich frage mich schon: Wie wird es in ein paar Monaten beruflich mit mir konkret weitergehen? Kann ich eine coole “Mompreneur” sein? Werde ich meinen kreativen, erfüllenden, aber etwas unsicheren Job aufgeben müssen? Soll ich mich fest anstellen lassen, vielleicht sogar in einem Job, in dem ich unter meinen intellektuellen und finanziellen Möglichkeiten bleibe? Was bedeutet das dann steuerlich? Das sind alles Fragen und Sorgen, die das moderne Ideal vom gleichberechtigten, fairen Familienleben schnell verblassen lassen. Und da haben wir über Care-Arbeit und Privilegien noch gar nicht gesprochen.
Egal, für welches Modell man sich letztlich entscheidet, als Frau wird man immer auch bewertet. Wie kann man mit diesem ewigen Gefühl von “Oh Gott, was denken die anderen über mich?” umgehen?
Als ich das Kapitel fürs Buch schrieb, habe ich mich zunächst fast nicht getraut zuzugeben, dass ich nach der Geburt gern einige Zeit zu Hause bleiben wollte. Ich meine, das Buch spielt auf die Abschaffung des Patriarchats an! Aber beim Schreiben ist mir klar geworden: Es gibt eben einen Unterschied zwischen theoretischem Aktivismus, der ganz klare Vorstellungen davon hat, was feministisch korrekt ist – und dem echten Leben.
Es ist ein Prozess, Themen wie Mutterschaft und Gleichberechtigung immer wieder neu in Frage zu stellen und festzustellen, was gesellschaftlich schiefläuft. Und wenn man das versteht, dann ist man nicht mehr so hart mit sich selbst und mit anderen.
Was muss sich deiner Meinung nach in Deutschland ändern, damit Frauen nicht immer wieder vor die gleichen Dilemmata gestellt werden, wenn sie Kinder kriegen?
Familienfreundlichere Strukturen im Arbeitsmarkt. Es kann nicht sein, dass nach wie vor davon ausgegangen wird, dass Mütter und nicht die Väter nach der Geburt in Teilzeit arbeiten, dann auch noch schlecht(er) bezahlt werden, bei Beförderungen übergangen werden und sich zu Hause um alles kümmern.
Expert:innen fordern bereits, dass beide Elternteile demnächst gleich viele Elternzeit-Monate nehmen müssen. Außerdem brauchen wir mehr Kitaplätze mit längeren Betreuungszeiten, und das auch schon fürs Kleinkindalter. Und dann müssen wir uns endlich mal von all diesen festgefahrenen Rollenklischees verabschieden – eine Frau muss sich ganz sicher nicht komplett selbst aufgeben, wenn sie ein Kind bekommt! Wir müssen das Muttersein neu definieren.
Was schlägst Du vor?
Familien müssen viel zentraler mitgedacht werden. In Frankreich funktioniert das schon ganz gut, etwa mit längeren Mittagspausen, besserer Ganztagskinderbetreuung. Ich habe früher oft erlebt, wie frischgebackene Mütter im Job aussortiert und rausgeekelt wurden oder ihnen wurde die Pistole auf die Brust gesetzt: Du kriegst deine alte Position zurück, aber nur mit 40-Stunden-Woche. Äh, hallo?! Das ist menschenverachtend und weltfremd.
Es muss klar werden, dass Mütter und Familien nicht allein für ihre Situation verantwortlich sind. Dann ist auch das Bild der dauergestressten, überforderten Mutter bald aus unseren Köpfen verbannt.
Auch Mütter haben FOMO und persönliche Bedürfnisse und die sollten – wenn der/die Partner:in, ein:e tolle Tagesmutter/-vater oder Oma und Opa mitziehen (ein Privileg, das ich glücklicherweise genießen darf) – unbedingt ab und zu gestillt werden, ob beim Clubbing, einer beruflichen Weiterbildung oder, indem der Mann sich bereit erklärt in Teilzeit zu gehen, damit sie ihren (Traum-)job machen kann. Wenn das gelingt, ist im Feminismus richtig was geschafft.
Danke für das Gespräch, Henriette!
Gewinnspiel
Unter allen SUNDAY DELIGHT Leser:innen verlose ich ein Exemplar des Sammelbands. Wenn Ihr gewinnen wollt, antwortet mir einfach auf diesen Newsletter mit Eurem Namen und Eurer Adresse! Viel Glück 🍀

Smalltalk-Repertoire
Wie sagt man im Internet, dass man keine Kinder will? Diese Woche ging ein Video der österreichischen Influencerin und Unternehmerin Madeleine Alizadeh viral, in dem sie über einen Schwangerschaftsabbruch mit Mitte 30 spricht. Der Tabu-Bruch, offen anzusprechen, keine Mutter werden zu wollen, sorgt für große Aufregung, wie Ihr Euch vorstellen könnt.
Im Idealfall sollten sich Frauen natürlich weder zu Kinderwunsch noch zum Wunsch nach einem kinderfreien Leben öffentlich erklären müssen. Schließlich geht das niemanden etwas an. An dem Punkt sind wir gesellschaftlich aber noch nicht; und daher möchte ich Euch als ergänzende Perspektive zu dem Themenkomplex die Podcast-Folge von Babygotbusiness mit Influencerin Mrs. Bella empfehlen, die über ihre Entscheidung spricht, keine Kinder bekommen zu wollen.
Was tun, wenn man sich für einen Job schämt? Es kommt nicht oft vor, dass Menschen einfach mal zugeben: das war nix. Umso erfrischender, dass Schauspielerin Dakota Johnson die Kritik an ihrem neuen Film “Madame Web” verstehen kann: “Ich kann den Film einfach nicht ernst nehmen. (…) Man kann keine Kunst basierend auf Zahlen und Algorithmen machen. Das Publikum ist schlau. Nur die Studiobosse glauben das nicht.”
Perfektes Match: Schauspielerin Sandra Hüller ist in der neuen Kampagne von Phoebe Philo zu sehen – dem Lieblingslabel aller Frauen, die auf lässige, intellektuell angehauchte Luxusmode stehen. Die Fotos bringen natürlich eine wichtige Frage auf: Wird Sandra in einem Look der Designerin einen Oscar in Empfang nehmen können? Morgen früh wissen wir mehr!

Binge-Alarm: Was Ihr diese Woche lesen, sehen, hören könnt

Laura Tonke © majestic_hooked london_lina grün.
📺 Wild, traurig, lustig: Caroline Rosales hat ihren autobiografischen Bestseller “Sexuell verfügbar” als Serie verfilmt. Und die ist ganz anders als erwartet: Miki (Laura Tonke) soll einen Zufallslover vergewaltigt haben. Aber was ist wirklich passiert? Die Serie erzählt rasant davon, wie einer Frau ihr Leben entgleitet, während das Umfeld genüsslich dabei zuguckt. Meine ausführliche Review lest Ihr im aktuellen “Stern”, online hier, die Serie ist ab sofort in der ARD Mediathek zu sehen.
📺 Hausfrau vs. Feministin: Im Streitgespräch “Sag’s mir” treffen zwei Frauen mit konträren Lebensentwürfen aufeinander und versuchen, die Entscheidungen und Einstellungen der anderen nachvollziehen zu können. Spannendes Format!
🎧 “Der Weg ist zu viel”: Den Podcast mit diesem genialen Namen hat meine Journalisten-Kollegin Elena Berchermeier kürzlich gestartet. Sie spricht mit ihren Gästen über Umbrüche im Leben, über neue Ziele und übers Weitermachen. Mein Tipp: die sehr offene Folge mit Alexa von Heyden.
🎧 In eigener Sache: Wer braucht NOCH einen Newsletter? Ich war im Podcast “The Bleeding Overachiever zu Gast” und habe einen offenen und ehrlichen Einblick in meine Arbeit an Sunday Delight gegeben. Hier anhören. Danke für das Gespräch, Bianca Jankovska!

Ich hoffe, Dir hat diese Ausgabe von Sunday Delight Spaß gemacht! Wenn Dir der Newsletter gefällt, kannst Du meine Arbeit so unterstützen:
Du bist neu hier? Hier kannst Du Sunday Delight abonnieren.
Du bist bereits Fan? Wenn Du Lust hast, kannst Du Teil der VIP Community werden. Im Abo enthalten: exklusiver VIP Content, coole Community-Aktionen (soon: Kolumnen-Schreibkurs!) und ein persönlicher ECHTER Willkommens-Brief!
Empfiehl diese Newsletter-Folge gern allen, die sich auch dafür interessieren könnten, am besten einfach diese Mail weiterleiten.
💌 Du willst mit Sunday Delight und mir zusammenarbeiten? Hier kannst Du einen ersten Blick auf mein Mediakit werfen. Oder Du schreibst mir einfach eine Mail und wir unterhalten uns über Kooperationsmöglichkeiten!
Reply