Herzlich willkommen bei Sunday Delight!
Ich bin Julia Hackober, Kultur-und Stilkritikerin aus Berlin, und in diesem Newsletter kommentiere ich jeden Sonntag aktuelle Hypes und Aufreger aus Popkultur, Gesellschaft und Lifestyle.
Neu hier? SUNDAY DELIGHT kannst Du hier kostenlos abonnieren:
0Hollywood, Ozempic & die große Body-Positivity-Lüge
Wie die “Dein Körper ist ok”-Ära endete –
und warum mich das als Millennial fertig macht
Man darf sich wirklich nicht zu lange im Internet aufhalten, sonst regt man sich nur auf. Diese Woche etwa klickte ich auf einen Artikel (jaja, selbst schuld…), in dem es um Comedienne Amy Schumers Erfahrungen mit Ozempic ging. Ja, genau, die Amy Schumer, die seit bald 20 Jahren übersteuerte Schönheitsideale satirisch aufarbeitet (z.B. in diesem Film).
Na, jedenfalls wollte Schumer nach der Geburt ihres Sohnes abnehmen, mit der Abnehmspritze gingen 14 Kilogramm runter, es sei ihr aber körperlich so schlecht gegangen, hieß es im Artikel, dass sie ihren Alltag kaum habe bewältigen können. Ich erwartete zum Ende des Artikels eine Warnung vor Ozempic, nach dem Motto, seid nicht so doof wie ich, macht doch lieber Sport! Aber nein, Amy Schumer berichtete, dass sie nun ein anderes Abnehmmittel ausprobiere, das sie deutlich besser vertrage, sie hat sogar in das Unternehmen investiert.
Seufz, ächz, stöhn. Ich muss ganz ehrlich sagen: Die Ozempic-Diskussion irritiert mich als Millennial-Frau zunehmend.
Auch meine Jugend war geprägt war vom Nullerjahre-Skinny-Druck. Ich musste meine 20er dafür nutzen, ein einigermaßen gesundes Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln. Damals startete auf Instagram die Body-Positivity-Bewegung ihren Siegeszug, nun sollte man sich dauernd damit auseinandersetzen, sich selbst zu lieben und zu akzeptieren. Sich zu dick oder zu dünn zu finden, das galt als antifeministisch, es wurde zunehmend uncool, sich den Tag davon zu vermiesen lassen, dass ein Hosenknopf nicht mehr zuging. Das war auch anstrengend, aber doch weniger kaputt, als mit 13 jede Woche einen Apfel-only-Tag einzulegen.
Ich dachte also, die ewige Auseinandersetzung mit dem Dünnseinwollen sei langsam vorbei. Doch jetzt, mit Mitte 30, da man sich halbwegs zurechtgefunden im Leben als Frau, da man sich nicht mehr von jedem Beauty-Trend aus der Fassung bringen lässt – da schlägt Ozempic zu.
Auf einmal sind alle wieder dünn, superdünn, und eben nicht nur Hollywood-Stars, sondern auch Internet-Feministinnen, Politikerinnen oder die Frauen beim Netzwerk-Treffen. Und so richtig weiß man nicht, wie man damit umgehen soll, plötzlich überall den Pfunden beim “Schmelzen” zuzusehen, wie das in Frauenzeitschriften früher hieß.
Julia Werner fasste das neue Dilemma kürzlich in der “Süddeutschen Zeitung” zusammen: Body-Shaming ist natürlich genauso mies wie Ozempic-Shaming, schon klar, alle sind für ihren eigenen Körper selbst verantwortlich, und es soll bitte niemand dafür verteufelt werden, eine chronische Krankheit wie Adipositas mit Hilfe moderner Medizin zu behandeln. Aber: “Wenn Stars wie Ariana Grande oder Emma Stone bei den jüngsten Oscars wieder so schmal werden, dass ihre Köpfe überdimensioniert wie die von Handpuppen wirken, stellen sich Fragen.”
Zum Beispiel die Frage danach, warum das neue Schönheitsideal wieder ultraschlank sein MUSS, nur, weil es so einfach geworden ist, dünn zu werden. Oder die Frage, ob wir Hollywood-Frauen, die noch mal einem ganz anderen Schönheitsdruck als wir Normalos unterliegen, wirklich einen Vorwurf daraus stricken können, wenn sie beim neuen Schlankheitswettbewerb mitmachen. Und dann wäre da noch die Frage, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn Schlanksein nicht mehr nur von der richtigen Mischung aus Disziplin, Willenskraft und Veranlagung zeugt, sondern auch von finanziellen Ressourcen – Ozempic ist schließlich nicht billig.
Persönlich frage ich mich gerade vor allem, ob der ganze mühsame Kampf um Body Positivity nur eine riesengroße Lüge war, die wir uns selbst erzählen wollten, um uns im eigenen Körper besser zu fühlen. Ich empfinde Amy Schumers radikale Ehrlichkeit in Bezug auf ihren eigenen Körper nicht als befreiend, sondern als belastend. Mir ist es egal, ob sie abnehmen will oder nicht.
Aber wenn Frauen, die in der Öffentlichkeit stets mit einer gewissen Koketterie auf sich selbst und unrealistische Schönheitsideale geblickt haben, plötzlich ganz selbstverständlich über die Vor-und Nachteile von Abnehmmitteln reden, dann hinterlässt das beim Publikum eben schon einen Knacks.
Weil sich herausstellt, dass genau diese Frauen bei allen Witzen über und Kritik an Schönheitsidealen offenbar insgeheim doch nur einen Wunsch haben: dünn sein. Und weil man sich unweigerlich selbst fragt: Bin ich wirklich zufrieden mit mir? Ist es echt ok für mich, dass mir gerade nur noch die größeren Hosengrößen in meinem Kleiderschrank passen? Kann ich mir sicher sein, dass ich bei entsprechendem Leidensdruck nicht auch zu Ozempic greifen würde?
Mich stört, dass durch den Ozempic-Hype das öffentliche Nachdenken über Körper wieder an Schärfe gewonnen hat. Nein, ich habe nicht daran geglaubt, dass sich sämtliche Schönheitsideale in Luft auflösen, weil ein paar Plus-Size-Models auf die Laufstege dieser Welt geschickt werden. Aber dass das Size-Zero-Zielbild noch mal wiederkommen könnte, damit habe ich auch auch nicht gerechnet. Es zählte schließlich zu den großen Errungenschaften der Millennial-Generation, sich über ein Thigh-Gap-Leben hinweggesetzt zu haben. Jetzt ist das “Du bist ok, wie du bist”-Selbstverständnis schon wieder Geschichte. Und ja, ich fühle mich ein wenig betrogen, wenn Christina Aguilera, Selena Gomez oder Kelly Osbourne plötzlich stolz ihre Mini-Körper präsentieren, obgleich sie noch vor kurzem darüber philosophierten, wiiiiee froh sie seien, endlich Frieden mit dem individuellen (=curvy) Körperbau gemacht zu haben.
Was macht das mit dem Rest von uns? Wie soll man sich immer wieder um einen gnädigen und lässigen Umgang mit dem eigenen Körper bemühen, wenn Frauen in der Öffentlichkeit all die mühsam antherapierte Nachsicht zusammen mit der neuesten Abnehmpille runterschlucken? Ich will ja keine Panik verbreiten, aber so richtig viel Spaß machen Gedanken an die Bikini-Saison 2025 gerade nicht.

Ich hoffe, Dir hat diese Ausgabe von Sunday Delight Spaß gemacht. Wenn Dir der Newsletter gefällt, freue ich mich, wenn Du diese Mail an alle Freunde weiterleitest, die sich auch dafür interessieren könnten 🙂
Danke für Dein Vertrauen! Deine Julia