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Selbstversuch Skitour oder: Leben am Limit
Was auf einer Skitour in Südtirol über mich selbst gelernt habe + Buch-Verlosung!
Herzlich willkommen bei Sunday Delight! Ich bin Julia Hackober, Journalistin in Berlin, und in diesem Newsletter lassen wir die Woche gemeinsam ausklingen. Heute mit diesen Themen:
Selbstversuch: Ich wollte die Trendsportart Skitouring testen – und erlebte einen Fitness-Schock. PLUS: Interview mit Südtirols erster Bergführerin Michi Egarter
Smalltalk-Repertoire: “Equal Care Day” und die irre Story um die Willy-Wonka-Experience
Buchverlosung: Unter allen VIP Mitgliedern verlose ich zwei Exemplare von Dolly Aldertons neuem Roman!
Viel Spaß beim Lesen!
Brief von Julia

Meine Fitness-Uhr schlägt Stressalarm, bevor ich einen einzigen Schritt getan habe. Noch stehe ich auf dem Parkplatz am Fuß der Sextener Rotwand, setze mir umständlich den Wanderrucksack auf, dann nehme ich ihn noch mal ab, ich muss noch mal aufs Klo.
Ich bin aufgeregt. Warum habe ich die Skitour zugesagt? Warum nur? Ich wohne in Berlin und gehöre auf dem Papier an einen Schreibtisch, maximal ins Yoga-Studio – und jetzt mache ich hier auf Outdoor-Girl und meine, in Südtirol mit Einheimischen einen Berg hochlaufen zu müssen? Auf Skiern? In 50 Zentimeter pappigem Neuschnee?!
Ich schimpfe innerlich über meine Neigung, immer erst mal zu allem “ja” zu sagen (Verabredungen, berufliche Aufträge, halsbrecherische Outdoor-Aktivitäten) und erst hinterher zu überlegen, ob etwas wirklich so eine gute Idee ist. Jetzt, mit angeschnallten Skiern, ist es zu spät, meine vorschnelle Entscheidung, die Trendsportart Skitouring unbedingt selbst ausprobieren zu wollen, zu überdenken.
Vorsichtig versuche ich die ersten Schritte, schiebe die Ski langsam nacheinander nach vorn. Doch nach zwei Metern hält mich Bergführerin Michi schon an: “Du hast ja die Bindung im Abfahrtsmodus! So kommst du nicht den Berg hoch!” Peinlich. Also noch mal umständlich an den Skiern herumgefummelt, bis es dann wirklich losgehen kann.
Michaela Egarter ist die erste weibliche Bergführerin Südtirols. 2015 war sie die erste Frau, die die Prüfung zum internationalen Bergführerabzeichen erfolgreich abgelegt hat. Ein Meilenstein im konservativen Südtirol, wo im Bergsport häufig noch die Männer den Ton angeben. Michi ist nicht nur eine beeindruckende Sportlerin, sie hat es sich auch zum Ziel gemacht, mehr Frauen auf den Berg zu bringen; sie bietet im Sommer Klettertouren speziell für Frauen an, im Winter eben Skitouren. Vor ihr will ich mich auf keinen Fall blamieren.
Wir stapfen los durch den tief verschneiten Wald, unterwegs auf dem Sextner Skitouren-Lehrpfad. Auf der Tour sind etwa 550 Höhenmeter zu überwinden, anschließend geht’s über die Piste wieder ins Tal zurück. “Eine leichte Anfänger-Tour”, sagt Michi, die Strecke sei technisch nicht anspruchsvoll, man braucht zum Beispiel keine Spitzkehren – eine Technik, bei der man im steilen Gelände die Ski für den Richtungswechsel um den Körper schwingt.
Dass Südtiroler einen anderen Begriff davon haben, was “leicht” in Bergsportarten bedeutet, wird mir schnell klar. Nach etwa 20 Minuten machen wir Halt an der ersten Station des Lehrpfads. Eine große Tafel erklärt die richtige Geh-Technik auf einer Skitour. “Wichtig ist schieben, bloß nicht den Ski anheben”, sagt Michi, “das kostet sonst zu viel Kraft”. Ich ziehe mir erst mal den Anorak aus, mir ist heiß, ich schwitze und bin insgeheim ganz froh über den leichten Schneefall, wenigstens ein bisschen Abkühlung von oben. Und ich frage mich das erste Mal: Wie lange wird es wohl dauern, bis wir die Bergstation erreicht haben?

Start des Skitouren-Lehrpfads.
Wir schieben uns weiter durch den Schnee, queren eine Straße, wieder Schuhe in die Skibindungen ein-und ausklicken, weiter geht’s. Der schmale Waldpfad, den wir hochsteigen, wird immer steiler, ich gerate ganz schön ins Schnaufen. Lange können wir noch nicht unterwegs sein, ich traue mich aber nicht, auf die Uhr zu schauen, ich muss mich auf die Spur konzentrieren, in der Michi mich den Berg hinaufführt. Die nächste Lehrtafel auf dem Skitouren-Pfad, für mich gleichbedeutend mit der nächsten Pause, lässt auf sich warten.
Wir steigen immer höher, immer öfter sind kleine Kuppen zu überwinden. Ich vertraue den Fellen unter meinen Skiern nicht ganz, habe Angst, rückwärts nach hinten zu rutschen. Mein Atem geht immer schwerer, ich schnaufe in die kalte Luft und versuche, einen immer stärker werdenden Gedanken wegzuschieben: Das hier ist viel anstrengender, als ich erwartet hätte.
Auf Instagram lachen die sporty Bergsport-Girls auf Skitour immer so fröhlich in die Kamera. So hatte ich mir den Selbstversuch: runterkommen, eins sein mit der Natur, den Abenteurer-Outdoor-Spirit GENIESSEN können. Ich kann mir noch ein gequältes Lächeln abringen, als Michi meine erste Tour dokumentiert.
Schließlich überwinde ich mich meine Sorge, mich als Fitness-Loser zu blamieren, und bitte Michi um eine Pause. Ungeschickt haspele ich meine Thermosflasche mit Tee aus dem Rucksack, verbrenne mir beim hastigen Trinken die Zunge. Mein Gesicht muss knallrot sein. Michi schaut mich prüfend an. “Ja, die Kondition muss eben passen beim Skitouren gehen“, sagt sie, “den Berg muss jeder allein nach oben gehen.” Michi sieht nicht so aus, als ob sie sich auch nur minimal hätte anstrengen müssen bis hierhin.
Ich versuche, so schnell wie möglich wieder zu Atem zu kommen, murmele was davon, dass ich die Höhe nicht vertragen würde. Zu meiner Verteidigung: Eine Woche lang gestresst am Laptop zu sitzen, das ist sicherlich nicht die optimale Vorbereitung auf eine Skitour. Meine Fitness schockiert mich dementsprechend, aufgeben oder umkehren ist jedoch keine Option. Wir sind mitten im Wald unterwegs, ich habe keine Vorstellung, wie weit die Piste entfernt ist. In meinem Kopf spielt sich schon eine Szene wie aus der TV-Serie “Die Bergretter” ab: Angekettet an einen Helikopter werde ich aus dem Wald abtransportiert.
Nein, so weit lasse ich es nicht kommen. Tapfer gehe ich weiter, schiebe einen Ski vor den anderen, versuche mich so kraftsparend wie möglich weiterzubewegen. Das ist also dieses “an die eigenen Grenzen” gehen, von der Sportler immer reden…
Wie schön es um mich herum ist in dem verschneiten Wald, nehme ich gerade noch wahr. So richtig fehlt mir aber der Blick für dieses “Winterwonderland”, seit Michi mich direkt hinter sich beordert hat. “Das schwächste Mitglied einer Gruppe geht immer direkt hinterm Bergführer, dann höre ich deinen Schritt”. Also, zum Aufbau des sportlichen Selbstbewusstseins eignet sich eine Skitour wirklich nur bedingt, das muss ich schon sagen…
Michis ruhige Art und die Tatsache, dass sie mein Geschnaufe nicht groß kommentiert, sondern einfach immer weitergeht, helfen mir aber dabei, auch dann noch weiterzugehen, wenn ich denke: Jetzt kann ich wirklich nicht mehr. Ich versuche, mich an das zu erinnern, was ich als Wintersport-Fan in unzähligen TV-Interviews von Profi-Athleten gehört haben: immer bei sich bleiben. Schließlich höre ich Michi erlösende Worte sagen: “Nur noch eine Kurve”.
Nach etwa drei Stunden haben wir die letzte Station des Lehrpfads erreicht, bei der man eine Suche nach Lawinen-Verschütteten simulieren soll. Ich versuche, die letzten Kräfte in meinem Körper zu sammeln. Denn gleich kommt ja noch die Abfahrt! Wie ich mit meinen zitternden Beinen die vom vielen Neuschnee aufgewühlte Piste heil runterkommen soll, ist mir ein Rätsel.
Aber: Irgendwie geht es. Meine Füße brennen, die Oberschenkel wabbeln, ich kriege kaum noch Luft – und trotzdem macht es Spaß, den Berg herunterzusausen. Unten angekommen gibt’s ein Lob von Michi: “Du fährst ganz gut Ski! Das ist wichtig, viele Frauen haben nach dem Anstieg keine Kraft mehr und Angst vor der Abfahrt.” Ich glaube, sie ist auch erleichtert, dass sie mich nicht wegen akuter Erschöpfung abtransportieren lassen musste…

Mit Michi Egarter am zweiten Skitouren-Tag.
Im Tal kehren wir ein. Ich bin total erledigt. Und trotzdem glücklich. Glücklich, durchgezogen zu haben, weitergegangen zu sein, mich an etwas Neues herangewagt zu haben. Dass ich viele Dinge einfach mal ausprobiere, egal, ob sie mir am Ende Spaß bringen werden oder ich “gut” darin bin, bringt mich zwar häufiger mal in stressige Situationen – scheint mir nach einem großen Teller Spaghetti Bolognese in der Hütte an der Talstation dennoch keine ganz verkehrte Eigenschaft zu sein. Sondern eine, die mich an neue Orte und mit fremden Menschen zusammenbringt, eine, die mich herausfordert und eine, die mich Dinge erleben lässt, die ich sonst nicht erlebt hätte.
Und ich finde, das ist die eigentliche Challenge: die Zeit und Geduld aufzubringen, sich wirklich auf etwas Neues einzulassen. Im Alltag funktioniert man ja meist, irgendwie, einfach, weil es nicht anders geht. Aber wie oft macht man in der Freizeit einfach was für sich? Ohne zu wissen, ob es klappen wird, und auch dann, wenn man eigentlich keine Zeit dafür hat? “Etwas durchzuziehen” heißt für mich nicht unbedingt, sich hirnlos der Selbstoptimierung zu verschreiben – sondern Dinge, die man gern ausprobieren möchte, auch WIRKLICH zu machen.
Am nächsten Tag bin ich übrigens direkt die nächste Skitour gegangen (auch wenn ich mir das, zugegeben, erst nicht vorstellen konnte). Es hat direkt viel besser geklappt, ich fand es richtig cool, die verschneite Bergwelt auf Skiern zu erkunden. An das Gefühl werde ich mich noch lange erinnern: Dass ich mich noch mal aufgerappelt und dem Sport eine zweite Chance gegeben habe – und so feststellen konnte, dass mehr in mir steckt als ein schnaufendes Etwas. Und ich finde, es stimmt, was Michi mir auf der Hütte sagt: “Am Berg schöpft man Selbstvertrauen für den Alltag.”
Michi Egarter hat mir in den zwei Tagen, die wir gemeinsam unterwegs waren, viel aus ihrem spannenden Arbeitsalltag als Bergführerin erzählt. Davon, wie es ist, ständig Verantwortung für fremde Menschen zu übernehmen – und davon, wie man sich gegen männliche Arbeitskollegen durchsetzt, die nicht damit klarkommen, dass eine Frau genauso leistungsfähig ist wie sie selbst… Das vollständige Interview lest Ihr hier:
Infos zu meinem Ausflug nach Sexten:

An der Jora-Hütte (Skitour 2)
Skitouren: Der Skitouren-Lehrpfad startet an der Talstation Signaue in Sexten. Alle Infos hier. Nach der Tour könnt Ihr im Restaurant Zin Fux schön einkehren (super Kaiserschmarrn!)
Am zweiten Tag sind wir am Haunold in Innichen am Forstweg gestartet und dann durch den Wald nach oben gestiegen. Ziel: Endpunkt der Haunold-Sesselbahn. Von dort könnt Ihr über blaue und rote Pisten entspannt ins Tal abfahren. Kehrt unbedingt auf der Jora Hütte ein, dort gibt es fantastische selbstgemachte Pasta.
Tipp: Die zweite Tour war ein Geheimtipp aus Michi Egarters Bergführer-Gang – es lohnt sich also, mit Profis unterwegs zu sein, nicht nur für Anfänger.
Und noch drei Empfehlungen von Michi für fortgeschrittene Skitouren-Gänger: vom Parkplatz Sexten/Moos auf den Helm (ca. 920 Höhenmeter); auf den Großen Jaufen von Hotel Pragser Wildsee aus (ca. 986 Höhenmeter); Hochwintertour auf den Kleinen Jaufen ab Parkplatz Gasthof Brückele (ca. 881 Höhenmeter). Bitte vorher immer über die Witterungsverhältnisse informieren und Sicherheits-Kit mitnehmen (LVS Gerät, Schaufel, Sonde).
Wohnen: Arianes Guesthouse: Schicke, ganz neu gestaltete Design-Apartments (eher für Paare geeignet). Highlight: Arianes herzlicher Service inkl. super Frühstückskorb.
Hotel Monika: Sportliches Wellness-Hotel mit großzügiger, köstlicher Dreiviertel-Pension. Tolles Spa-Team, Rückenmassage mit Schröpfen sehr zu empfehlen!
Essen: Legeres Ambiente und urbane Küche (leckere Bowls) im Biwak 12 in Moos; italienische Köstlichkeiten gibt’s im Laterna Verde in Sexten (beliebt auch unter Einheimischen!); hip: das Atto in Innichen ist ein Must-Ziel für Design-Afficionados
Outfit (also, ohne diesen Hinweis wäre dieser Newsletter hier nicht SUNDAY DELIGHT): Mein Skitouring-Ensemble wurde mir netterweise von meiner liebsten Outdoor-Marke LaMunt aus Südtirol zur Verfügung gestellt und hat mich doppelt motiviert. Die einzelnen Teile findet ihr hier: Skitouren-Leggings Johanna; Kapuzen-Jacke Antje; Wendejacke Irmi mit recycelter Isolierung für die Abfahrt. Ich würde euch zusätzlich einen wasserdichten Anorak empfehlen, ist bei Niederschlag einfach angenehmer.
Transparenz-Hinweis: Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband IDM Südtirol.
Smalltalk-Repertoire
Von wegen 50-50: Diese Woche machte der “Equal Care Day” auf die immer noch höchst ungerechte Verteilung von unbezahlter Care-Arbeit in Partnerschaften und Familien aufmerksam. Mit Aufgaben wie Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von Angehörigen verbringen Frauen im Schnitt 77 Minuten mehr Zeit am Tag als Männer. Mehr Infos dazu hier. Und an dieser Stelle noch mal eine Empfehlung für Equaly – ein Online-Programm, mit dem Mental Load und Care-Arbeit in Partnerschaften aufgeteilt werden kann.
Erwartung vs. Realität: In Glasgow warb eine Willy Wonka-Ausstellung mit KI-Bildern für ein “einzigartiges Erlebnis”. Die Gäste erwartete allerdings keine zauberhafte Schokoladenfabrik wie im Film, sondern eine Lagerhalle, in der sich die “magischen” Effekte darauf beschränkten, dass verkleidete Gestalten hinter Spiegeln hervorsprangen. Die Bilder gingen sofort viral. “Vulture” gelang es nun, die schlecht gelaunte Frau im Oompa Loompa Kostüm zu interviewen, die Jelly Beans abzählen und an enttäuschte Kinder verteilen musste. Must-read für alle, die Scam-Geschichten lieben!

Binge-Alarm: Buchverlosung!
📚 Dieser Roman beginnt mit einer Trennung: Andy und Jen galten als das Traumpaar in ihrer Clique. Oder zumindest als das Paar, bei dem alles in Ordnung schien. Und trotzdem ist plötzlich alles aus und vorbei – und Andy steht mit 35 als mittelmäßig erfolgreicher Comedian und Single da, während alle um ihn herum plötzlich so viel glücklicher wirken. Wie konnte das passieren?
Liebe versus Alltag: Dolly Alderton erzählt in “Am Ende ist es ein Anfang” (erscheint am 5. März bei Atlantik) von der Schwierigkeit, unterschiedliche Vorstellungen von Liebe in Einklang mit dem Alltag zu bringen. Meine ausführliche Review könnt Ihr hier noch mal nachlesen (habe den Roman schon durchgesuchtet, als er im Herbst auf Englisch erschien…)
Seid Ihr auch Dolly-Fans? Dann aufgepasst: Unter allen SUNDAY DELIGHT VIP Mitgliedern verlose ich zwei Exemplare des Romans. Wenn Ihr Interesse habt, antwortet mir gern mit Name und Adresse auf diese Mail! Einzige Voraussetzung: Ihr müsst ein aktives VIP Abo haben (Monats-oder Jahres-Member). Viel Glück! 🍀

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