Und wer bezahlt für den Spaß?

Bela B Felsenheimers Roman „Fun“ in der Review + eine Serie voller Berlin-Klischees + VIP Sprachmemo

Herzlich willkommen bei Sunday Delight! Ich bin Julia Hackober, Kultur-und Stilkritikerin in Berlin, und in diesem Newsletter kommentiere ich die wichtigsten Wochen-News aus Popkultur und Gesellschaft (die Auswahl der Themen erfolgt natürlich komplett subjektiv!). Heute geht’s hier um folgende Themen:

  • Review: Was trägt Bela B Felsenheimers Roman “Fun” zur Metoo-Debatte bei?

  • Enjoy & Judge: eine Serie voller peinlicher Berlin-Klischees und der krasse Hype um Onyx Storm

  • VIP Sprachmemo: Mit Olaf und Robert beim Frauen100-Event, die Fortsetzung der “El Hotzo Causa” und ein Einblick in mein aktuelles Seelenleben

Viel Spaß beim Lesen!  

Review: “FUN” von Bela B Felsenheimer

“FUN” von Bela B Felsenheimer, ersch. bei Heyne, um 24 Euro

Männer sind Schweine? Man kann den neuen Roman von Ärzte-Drummer Bela B Felsenheimer nicht lesen, ohne ständig an die berühmte Songzeile zu denken. In “Fun” geht es um Metoo in der Musikszene, darum, was bei Backstage-Partys freiwillig passiert und was nicht. Ausnahmslos alle Männer, die in diesem Roman auftreten, sind ahnungslose bis mutwillige Arschlöcher. Und alle Frauen müssen irgendwie damit klarkommen. Pech gehabt.

Aber der Reihe nach. “Fun” erzählt aus wechselnder Perspektive die Geschichte einer Rockband, deren Markenzeichen der Hang zum Schockmoment ist – und eine an Rammsteins “Row Zero” erinnernde Afterparty-Politik. Sagenumwoben und vermeintlich unantastbar, bis eines Tages eine junge Frau eben doch nicht akzeptiert, dass ihr Nein nichts gilt im Backstage-Niemandsland, und zwei der Bandmitglieder wegen Vergewaltigung anzeigt. Nun geht’s ans Eingemachte: Wer trägt die Konsequenzen, wenn all der Spaß, auf den sämtliche Protagonisten in diesem Buch aus sind, plötzlich kippt?

Eine Frage, die Bela B entlang einer soapy Rahmenhandlung bespricht: Die Band kehrt nach vielen Jahren für ein Konzert in eine Provinzstadt zurück, wo ihre Karriere einst Fahrt aufnahm – und jetzt in Gefahr gerät. Da ist nicht nur der Vergewaltigungsfall, den natürlich einigermaßen shady Polizisten aufklären müssen; den charismatisch-düsteren Sänger Emil Maler verbindet auch noch ein “dunkles Geheimnis” mit einer Local-Familie (das alle, die in den Nullerjahren zu viel “Verbotene Liebe” geschaut haben, sofort durchschauen werden).

Die vielen Figuren und Erzählstränge dienen vor allem dazu, sämtliche Schattierungen zwischen Konsens und sexueller Gewalt zu illustrieren: Es geht um den Geniekult in der Musikindustrie, der einem System des Wegschauens Vorschub leistet. Um die Erkenntnis, dass Übergriffe genauso gut im biederen Apotheken-Hinterzimmer passieren können wie in der Bühnenumkleide. Und ja, auch um die Frage, ob ein Ja im Nachhinein zum Nein werden kann. Wann ist der Konsens weg – schon dann, wenn Stars ihren Ruhm nutzen, um sich willige Frauen zuführen lassen, einfach, weil sie’s können? Oder erst dann, wenn diese Frauen ihr Abenteuer doch lieber abbrechen wollen?

Das ist oft drastisch zu lesen, manchmal stumpf (Dad-Jokes über die Ärzte!), aber auf eine voyeuristische Weise auch unterhaltsam. Richtig gut weg kommt niemand in “Fun”. Keiner der darin auftretenden Männer hat seine Triebe auch nur ansatzweise unter Kontrolle. Die Frauen unterschätzen genau das viel zu oft und sind sich dann plötzlich selbst nicht mehr sicher, was sie wollten und was nicht. Es gibt keine moralische Instanz in diesem Roman, keine Gerechtigkeit, keinen frommen Wunsch für einen “Lösungsansatz”. Höchstens die Erkenntnis, dass einzig Handys und Social Media dem einst grenzenlosen Fun ein Limit setzen können.

Und jetzt? Am Ende der Lektüre bleibt ein Gefühl der Ratlosigkeit über, das sich ein bisschen so anfühlt, wie wenn die großen Metoo-Fälle in den Medien im Sande verlaufen. Kein Ergebnis, nix nachzuweisen. Muss man aushalten können, dass sich die Frage aufdrängt: Geht alles immer so weiter, darf man sich bei zu viel “Spaß” nur einfach nicht mehr erwischen lassen?

Noch erzählt Bela B vom Mythos Rockstar zumindest so, dass möglichst wenig davon verloren geht – auch wenn sich die Zeiten geändert haben, er hat’s geschnallt, schon klar. Oder, wie eines der Bandmitglieder aus dem Roman es sieht: Man sei jetzt langsam einfach zu alt für diese Fick-Geschichten. 

Puh. Wahrscheinlich muss man “Fun” als das nehmen, was es ist: eine (zugegeben schwungvoll geschriebene) Perspektive auf das, was Macht, Trieb und Gelegenheit aus Menschen machen können. Aber halt auch nicht mehr.

Diese Links empfehle ich zur weiterführenden Beschäftigung:

  • In den sozialen Medien wird kritisiert, dass nach Benjamin von Stuckrad-Barres Erfolg mit “Noch wach?” schon wieder ein Dude als großer Gesellschaftsromancier in Machtmissbrauchsfragen  auftreten darf. Ein bisschen unfair ist der Vergleich, immerhin ist Bela B nicht so eitel, einen Ich-Erzähler als einzige halbwegs integre Persönlichkeit innerhalb eines verrotteten Systems aus Angst und Abhängigkeiten zu inszenieren (meine Review zu „Noch was?“ lest Ihr hier). Aber ja, die Romane haben eine Gemeinsamkeit: Beide Autoren sezieren über eine Szene, die sie selbst groß gemacht hat, und ziehen sich dabei selbst gekonnt aus der Affäre…

  • …wie man in diesem “Spiegel”-Interview mit Bela B unschwer herauslesen kann.

  • Bei meinen Kolleginnen von HOT BOWL habe ich diesen Buchtipp entdeckt: Rike van Kleef schreibt über Geschlechterungerechtigkeit in der Post-#metoo-Musikszene (erscheint im Frühjahr).

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enjoy & judge:
Mein (komplett subjektiver) Wochenrückblick

Klischee-Katastrophe: In der ARD-Serie “The Next Level” recherchiert eine Investigativ-Journalistin (Lisa Vicari) zu einem Todesfall im Berliner Clubleben. Basiert auf einer wahren Geschichte (das Berghain heißt in der Serie Reaktor), behandelt eigentlich spannende Themen (Feierkultur zwischen Drogenmissbrauch und Immobilien-Ausverkauf), ist aber so peinlich inszeniert, dass ich nach eineinhalb Folgen abbrechen musste. Wirklich, die ganze Serie sieht so aus, wie sich Menschen den “Sündenbabel” Berlin vorstellen, die sich noch nie nördlich der Main-Linie aufgehalten haben.
Lesenswert: diese ausführliche Rezension von Clubkultur-Experte Kristoffer Cornils.

Warum stehen so wenige lustige Frauen auf Bühnen? Erst recht, wenn sie älter als 50 sind? Satirikerin Ella Carina Werner setzt sich für mehr Sichtbarkeit für (ältere) weibliche Comedians ein und deren Zielgruppen ein: “In den letzten fünf bis zehn Jahren sind mehrere Frauen sehr erfolgreich geworden. Ich könnte jetzt aus dem Stegreif auch 30 nennen, aber ich könnte auch 500 Männer nennen. Ich war gerade bei einer Comedy-Veranstaltung als einzige Frau mit acht Männern auf der Bühne. Das fällt keinem auf, es gilt immer noch als normal.”

Wieso kaufen 2,7 Millionen Menschen dieses Buch - und warum habe ich davon noch nix gehört?? Ich bin fasziniert vom Hype um die Fantasy-Romance-Serie der amerikanischen Schriftstellerin Rebecca Yarros. Werde mich in die Materie einlesen und melde mich mit einer Analyse zurück!

Anzeige Ein Podcast wie ein Mini-Urlaub: “Nachhaltig nachgefragt - der Podcast der Biohotels” geht in die zweite Staffel. In der jüngsten Folge bespreche ich mit Andrea und Martin Fend vom Bio-Kurhotel moor & mehr in Bad Kohlgrub einen aktuellen Longevity-Hype, der eigentlich schon uralt ist – nämlich das Moorbaden.

🎙️Julias VIP Memo: Mit Olaf und Robert bei einer Feminismus-Party, herausfordernde Polit-Diskussionen und die nervige Fortsetzung der “Causa El Hotzo”

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